Gedanken zu Weihnachten 2005

Religion ist gut, wenn sie lebensdienlich wirkt

Pfarrer Winfried Anslinger am 24. Dezember 2005

Wort des Tages ist eine kurze Erzählung aus dem Prophetenbuch Jesaja. Die Stadt Jerusalem wird von Feinden belagert. Die Lage scheint aussichtslos. Der König ist verzweifelt. Was soll er tun? Aufgeben oder kämpfen? Sein Gott scheint ihn verlassen zu haben. Jesaja rät ihm, ein Zeichen zu fordern.

Jes 7, 10 - 14

Kultur und Religion beziehen sich auf grundlegende Erzählungen. Die Weihnachtslegende gehört da sicher zum abendländischen Grundbestand. Sie wirken wie ein Strickmuster, beeinflussen in unzähligen Variationen alle Sparten der Kultur, sei es Literatur oder Musik, Theater oder bildende Kunst und natürlich die Religion. Nur - was hat unsere alttestamentliche Geschichte vom König Ahas damit zu tun? Ein Kriegsdrama aus dem alten Orient mit Weihnachten?

Das ist ganz einfach: Es wird ein paralleler Vorgang beschrieben. Der König von Juda ist in großer Angst. Gott aber gibt ihm ein Zeichen durch den Mund des Propheten. Das Zeichen ist ein Kind, das auf die Welt kommt. Es soll Immanuel heißen und dieser Name bedeutet das gleiche wie der Name Jesus: Gott ist mit uns, oder: Gott rettet. Der Name beider Kinder enthält ein weltveränderndes Programm: Gott ist mit uns meint: Allen, die glauben, alles gehe immer weiter so, denen sei gesagt: ihr täuscht euch. Allen die glauben, nur Geld und Macht regieren die Welt, denen sei gesagt: seht euch vor. Allen, die meinen: wo gehobelt wird, fallen halt Späne, sei gesagt: macht euch nicht mitschuldig. Dieses Programm wird 500 Jahre später in der Parallelgeschichte aufgegriffen. Um das Jahr null herum heißt es: "Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Euch ist heute der Heiland geboren"... Kaiser und Könige mögen herrschen und foltern, Kriege führen und Völker unterjochen. Die künftige Gestalt der Welt bestimmen sie nicht. Da ist anderes am Werk. Eine geheimnisvolle Kraft, die sich gerade oft der Schwächsten bedient, deren Kalkül niemand voraussieht.

Die Geburt eines Kindes, die Bibel nimmt diesen Vorgang mehrfach als Zeichen für die weltverändernde Kraft der Hoffnung. Nur sie erfasst, was möglich ist. Was unter der Oberfläche der Tatsachen schlummert. Das Zeichen ist gut gewählt: Was gibt es schöneres, beglückenderes, als die Ankunft eines neuen Menschen? Familien wissen das von alters her. Selbst in Deutschland fängt man an, das wieder zu entdecken. Kinder als Zeichen von Hoffnung und Zukunftsfähigkeit. Als wichtigste Investition im Leben vieler ebenso wie der ganzen Gesellschaft. Hoffentlich begreift das auch unser neuer Finanzminister Steinbrück irgendwann.

Warum Weihnachten das beliebteste Fest im Jahr ist? Wegen der Nähe zum Ursprung unserer Existenz. Dass die Familie im Mittelpunkt steht. Eine heilige Familie als Vorbild und die vielen anderen in abgestufter Heiligkeit drum herum. Versammelt zu einem Anlaß, der alle erfreut. Die Feier der Christkindgeburt stellt dabei Erinnerungen an ähnliche Ereignisse in der eigenen Biographie her und ist ein zuverlässig wiederkehrender Anlass, wo man sich trifft und die ursprünglichen, prägenden Beziehungen pflegt: Weihnachten zuhaus ... selbst der Herr Jesus hätte da nicht weggedurft ...

Wir stellen uns, bewusst oder nicht, in den Bannkreis fundamentaler Lebenszusammenhänge. Selbst wenn das Elternhaus längst nicht mehr steht oder umgezogen wurde, beschwören Lichterbaum, Weihnachtsmusik und Plätzchenduft die gefühlte Heimat. Man wird wieder Sohn und Tochter, Bruder oder Schwester, erkennt im Garten die verrostete Schaukel wieder, weißt du noch als einmal der Schnee so hoch lag? Mit dem Christkind war man selber Kind, seiner Entzauberung folgte auf dem Fuße auch die Ernüchterung über Eltern, Nikolaus und den Tod von Hamstern und Hauskaninchen, ach, jetzt erlebt es mancher an den eigenen Kindern noch einmal. Und versucht alles besser zu machen: Ein aufgeklärtes Weihnachtskind, repressionsfreie Erziehung, schadstofffreie Babynahrung, und doch fürchtet sich die Kleine vor dem Geist im Schrank und verfolgt später gebannt die Abenteuer eines Zauberlehrlings auf der Kinoleinwand.

Vieles ändert sich, manches nicht.

Geändert hat sich der Schwerpunkt unserer religiösen Praxis. Früher galten Ostern und vor allem Karfreitag als höchste Feiertage im Jahr, wo die Männer in Frack und Zylinder zum Abendmahl gingen. Weihnachten wurde eher beiläufig gefeiert ohne Geschenke. Christbaum, Adventskranz und die Schenkerei kamen erst im Biedermeier auf, das war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Heute fährt man zu Ostern in Schiurlaub oder lässt die Kleinen im Garten Ostereier suchen. Weihnachten aber reichen die Kirchen nicht. Aus dem alten Osterchristentum ist ein Weihnachtschristentum geworden, da mag rechtgläubiges Denken sich sträuben, es gibt viele gute Gründe dafür.

Religion ist gut, wenn sie lebensdienlich wirkt. Das Osterchristentum hat weitgehend seine Funktion verloren, weil wir Heutigen viel weniger Leid und Tod zu bewältigen haben. Unsere Vorfahren erlebten das Sterben vieler Kinder, die Lebenserwartung lag bei 35 Jahren, das Dasein war Mühe und Arbeit.

Wer aber im Zweitwagen zur Arbeit fährt und sich mit Produkten von Tommy Hilfinger behängt, der vermag Passion, Tod und Auferstehung nicht mit gleicher Inbrunst nachzuvollziehen wie sein Urgroßvater, der mit 40 Invalide war und 2 Söhne im Krieg ließ.

Wird heute dank moderner Medizin erst jenseits der 80 gestorben, alt und lebenssatt, verkraftet sich das manchmal sogar ganz ohne Religion.

Nur - wenn ein Kind auf die Welt kommt, scheint alles anders. Da schmelzen selbst Marlborough-Raucher und BMW-Fahrer vor Rührung. Um Pate zu werden, tritt mancher sogar wieder in die Kirche ein. In solchen Augenblicken begegnet uns Heutigen, was der Welt ihren Sinn verleiht, was über die Tatsachen, die angeblich so fest stehen, hinaus weist:
Ein zeitloses Konzept von Leben, dem unser endliches Dasein sich verdankt. Von dem her sich Trost und Hoffnung begründen im Zeitlichen schon.

Religion ist gut, wenn sie lebensdienlich wirkt. Ihre lebensbejahrenden Mythen und Rituale helfen, die Gegenwart zu bestehen. Schon Jesaja richtet es an König und Volk aus: "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht".

Sie bewahren uns auch davor, dem Fest sein Zentrum zu nehmen: Hundekuchen mit Minzaroma gegen tierischen Mundgeruch hat sicher seinen Stellenwert.

Wir haben auch gar nichts dagegen, dass Elton John zu Weihnachten schwul heiratet und wer will, darf sich dafür interessieren, was Paris Hilton, Chiara Ohoven und all die kleinen Partyschlampen der High Society heut' Abend so treiben.
Vergessen werden soll dabei nicht, dass alles sich um eine Botschaft dreht, die in den Namen Immanuel und Jesus zusammengefasst wird: Gott ist mit uns.

Gott isst mit uns: Vielleicht gilt das sogar im doppelten Sinn, wenn nachher die Gans aus der Backröhre kommt oder die Stopfente vom Biobauern. Dann beten wir, dass ein glücklich gewesenes Tier uns verzückt, kein Gammelfleisch uns bedrückt und die Gallenblase im Anschluss nicht zwickt.

Und wir vergessen nicht, anzufügen - dass nächstes Jahr die Lauterer Mainz 05 aus dem Pokal werfen sollen. Wenn das alles Erhörung findet, dann dürfte der Abend gerettet sein.

In diesem Sinne wünsch' ich fröhliche Weihnachten.

Amen

 

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