Gedanken zu Menschen und Wahlen

Nicht jeder, der provoziert, ist ein Prophet.

Paulus, nicht ein Apostel von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater.
(Gal. 1, 1)

Pfarrer Winfried Anslinger am 2. September 2002

Sie werden ihn schon gekannt haben, die Galater, denn Paulus hatte die Gemeinde vor Jahren gegründet. Trotzdem stellt er sich am Anfang seines Galaterbriefes mit einer ausführlichen Adresse noch einmal vor. Das hat Gründe. Man hatte in Frage gestellt, ob er der richtige sei, ob nicht andere geeigneter wären, die Gemeinde zu leiten. Wir kennen die Argumente aus Wahlkämpfen. Es ist nicht leicht, Kanzler oder Kandidat zu sein, es war war nicht leicht, Apostel zu sein.

Und so sieht sich Paulus gezwungen, einmal etwas Grundsätzliches zu sagen über sein Amt und Selbstverständnis.

Ich bin Gottes Botschafter. Sonst garnichts.

Kein Mensch hat mich dazu gezwungen, niemand überredet. Ich hab keinen Vorteil davon, im Gegenteil. Ich tu alles freiwillig. Gott hat mich beauftragt.

Das kann jeder sagen. Woran erkennt man, daß diese Behauptung nicht nur vorgeschoben ist?

Ämter verleihen Macht. Ämter stärken das Selbstbewußtsein. Ämter verführen.

Wenn er sagt: "Apostel bin ich durch Jesus Christus und Gott den Vater", kann sich dahinter nicht allerhand verbergen?

Zum Glück liefert uns Paulus einige Kriterien für die Echtheit seiner Mission. Aus dem Galaterbrief selbst geht hervor, wozu sein Amt gut ist. Er gibt den Menschen dort einiges an Lebenshilfe an die Hand:

Wir sind erlöst vom Fluch des Gesetzes.
Ihr seid Gottes Kinder durch den Glauben
Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Güte, Sanftmut und Keuschheit.
Einer trage des anderen Last, u.s.w.

Die Echtheit der Berufung entscheidet sich nicht an Behauptung und Gegenbehauptung, sondern daran, was der Amtsinhaber bewirkt. Ist seine Botschaft hilfreich oder nicht? Steht er mit seinem Leben ein für das, was er sagt?

Ist er "Salz der Erde" , wie Jesus in der Bergpredigt forderte ?

Salz der Erde sein, das ist inhaltliches Unterscheidungskriterium für Apostel, deren Nachfolger und solche, die es werden wollen.
Das Gegenteil davon wäre so etwas wie Honig. Politiker schmieren ihren Wählern gern Honig ums Maul. Sie kündigen an, was die Menschen gern hören wollen, oder wovon sie denken, dass es gern gehört wird. Wie ernst es gemeint ist, erfährt man gelegentlich nach dem Wahltermin. Auch von Kanzeln kann man gelegentlich Honig tropfen sehen. Wer weiß, vielleicht ist dann, wenn die Zuhörer sagen: "Das hat mir heute aber gut gefallen, Herr Pfarrer", "der Herr Pastor hat mir mal so richtig aus dem Herzen gesprochen" - vielleicht ist dann der Inhalt des Evangeliums gerade in Gefahr, an weltliche Interessen verkauft zu werden. Muss nicht sein, aber kann.

Darum wird im Sinne von Paulus eine gewisse Distanz zu empfehlen sein. Nicht, ob es jedermann gefällt, ist Kriterium des Evangeliums, sondern ob es Salz der Erde ist.

Salz kann auch beißen, wenn es in Wunden gerät.

Meine Großmutter hat immer gesagt: "Bös muss bös vertreiben", wenn sie Schürfwunden vom Rollschuhfahren mit Jod behandelt hat.
Helmut Thielicke, evangelischer Starprediger der 70er Jahre hat den Irrtum einmal so beschrieben:

"Die Menschen unter der Kanzel hat es nicht gebissen, und so sind sie nach Hause gegangen und haben gemeint, sie seien gesund. Sie trügen keine Wunden und der liebe Gott habe sie mit heiler Haut davonkommen lassen".

Umgekehrt ist das Beißen nicht per se schon ein Qualitätskriterium. Nicht jeder, der provoziert, ist gleich ein Prophet. Nicht jeder Politiker, der Anstoß erregt, ist gleich ein Apostel der Wahrheit. So leicht ist nicht zu erkennen, was uns wirklich hilft. Selbst Paulus wusste nicht, ob ihm der heilige Geist die Hand führt, als er seine Briefe schrieb. Vielleicht hat er manches verfasst, was nicht gefiel. Das wird zu seinen Gunsten dem Vergessen anheim gefallen sein. Meist erweist sich die Heilsamkeit erst im Nachhinein.

Das ist auch der Grund, warum wir bei der Kirche gern auf alte Traditionen und Aussagen uns beziehen. Es sind die geprüften, die bewährten Wahrheiten. Sie haben den Apostel zu dem gemacht, was er war. Wer sich ihnen stellt, kommt dem Christus nah.

 

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