Gedanken zu Ostern 2006

Bekenntnis zum Leben

Pfarrer Winfried Anslinger am 16. April 2006

Apg 10, 34 - 44

Leben und Tod. Darum geht es an Ostern. Das Fest gilt als das höchste kirchliche im Jahr, weil unser Glaube das Leben in den Mittelpunkt stellt. Das Leben im Gegensatz zum Tod. So sehr unsere Religion Anleihen von außen genommen hat, vom Judentum vor allem, aber auch von den Mysterien des Orients bis hin zu den Naturreligionen unserer europäischen Ahnen, am Anfang stand ein Bekenntnis: das Bekenntnis zum auferweckten Jesus, den Gott aus der Unterwelt des Todes geholt hat, um ihm ein neues Leben zu schenken.

Dass Gott, der Schöpfer, neues Leben schenkt, ist die Quelle aller Hoffnung und der Anfang unseres Glaubens. Daran hat sich in 2000 Jahren nichts geändert.

Doch wie schwer ist es, dieser Botschaft zu glauben?

Rudi Carrell, der bekannte Fernsehspaßvogel, hat es so ausgedrückt: "Ich weiß, dass ich bald sterben muss. An ein Leben danach glaube ich nicht. Dann ist es eben aus. Aber ich habe ein aufregendes Leben gehabt.". Er hat damit vielen Zeitgenossen aus der Seele gesprochen. Nach einer Befragung meinen 47% der Menschen in Deutschland , dass mit dem Tod alles endet. 11% glauben an eine Wiedergeburt in einem zweiten Leben auf dieser Erde, wie es buddhistische Lehre ist. Nur 27% rechnen mit einem Leben in einer anderen Welt, also mit einer Art Auferweckung.

Das ist nicht böswilliger Unglaube. Sondern Ausdruck der Macht, mit welcher der Tod unser Denken beherrscht. Ja, der Tod hat Macht. Er hat den Augenschein für sich. Wer kann sich vorstellen, dass nach dem Ende der Lebensfunktionen, wenn der ganze Körper sich auflöst, irgend etwas zurückbleibt? Etwas von dem, was den Menschen ausgemacht hat? Leben ohne Körper hat in der Gestalt von Gespenstern seinen Stellenwert in der Kinderphantasie, doch niemand hat je so etwas beobachtet.

Der Tod ist mit der Geburt schon mitgegeben. Jede einzelne Körperzelle beginnt ihr festgelegtes Programm. Sie teilt sich und lässt das Gewebe wachsen. Sie leitet auch ihre Selbstzerstörung ein, wenn etwas nicht mehr funktioniert. Sie löst sich auf. Dieses Selbstzerstörungsprogramm bewahrt uns davor, allzu früh Krebs zu bekommen. Ab einem Alter von 18 Jahren halten sich Aufbau und Abbauprozesse die Waage. Der Mensch wächst nicht mehr. Das geht bis Mitte 40 so. Dann gewinnen Abbauprozesse langsam die Oberhand, bis der Körper verbraucht ist. Ein ganz natürlicher Prozess, der nur ein Ziel kennt, das beim einen früher, beim anderen später erreicht wird.

Die größte Demütigung des Menschen ist, dass er sterblich ist, trotz aller medizinischen Fortschritte . Vor ein paar Jahren war in Amerika die Hoffnung aufgekommen, man könne vielleicht doch das Altern der Zellen unterbinden. Die Gen-Analysen waren ja verblüffend, vielleicht könnte man die Lebensdauer nicht nur auf 120 Jahre verlängern, sondern überhaupt den Alterungsprozess verhindern. Daraufhin ließen sich einige reiche Leute einfrieren. Vor kurzem gab es eine Sendung mit Joachim Bublath "Das ewige Leben" betitelt. Erstaunlich, dass man tatsächlich eine tiefgefrorene Schildkröte nach einer Stunde wieder auftauen konnte. Auch im Eis eingebrochene Kinder überleben ja manchmal bis zu 30 Minuten. Aber dann kam die Ernüchterung: Die Lebensdauer der Zellen kann nicht ins Uferlose verlängert werden, weil sie sich von Natur aus nur 30 bis 40 Mal teilen kann. Danach ist ihre Kapazität erschöpft. Sie stirbt ab. Bei sehr alten Menschen kann man sehen, wie sie buchstäblich immer weniger werden. Gegen ein Naturgesetz wird selbst die ausgefeilteste Gentechnik machtlos sein. Und wer will das denn auch?

Der britische Dichter Oscar Wilde hat in seinem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ einen Menschen porträtiert, welchem ewige Jugend geschenkt war:

Ein Londoner Maler verehrt Dorian Gray, einen jungen Mann von außergewöhnlicher Schönheit. Er malt Porträts von ihm. Durch ein Mirakel geschieht es, daß Dorians Wunsch, nie zu altern, erfüllt wird. Die Eigenschaft des Alterns wird auf eines der Bildnisse von Dorian übertragen, die Person selbst bleibt wie sie ist. Aus Glück und Übermut beginnt Dorian nun ein ausschweifendes Leben zu führen. Er genießt in vollen Zügen, denn er muss nie für die Folgen geradestehen. Sein Bildnis altert, er selbst bleibt jung. Bald zerstört er mit seiner Zügellosigkeit das Leben vieler Menschen. Als eine junge Schauspielerin sich seinetwegen das Leben nimmt, beginnen ihn jedoch Gewissensbisse zu plagen. Sie verstärken sich in dem Maße, wie er immer mehr mit den Folgen seines Handelns konfrontiert wird. Nach Jahrzehnten skandalösen, genusssüchtigen Lebenswandels wird er überdrüssig. Voller Selbstverachtung betrachtet der sein Porträt, auf welchem ein runzliger Greis zu sehen ist. Mit einem Revolver schießt er auf sein Bild. Am Ende finden ihn seine Diener vor dem Bildnis. Es zeigt wieder einen schönen Jüngling. Davor liegt ein uralter Mann, tot. Die Diener können ihn nur noch anhand der Ringe identifizieren, die er an seinen Fingern trägt.

Diese böse Parabel erschien im Jahr 1890. Schon im Zeitalter der belle epoque wird hier in prophetischer Vorausschau mit einem Jugendwahn abgerechnet., wie er heute die Welt zu beherrschen scheint. Wie viel Geld wird ausgegeben, um die Haut vor Alterung zu schützen, um hormonell auf der Höhe zu bleiben, wo kann man noch Kleidung speziell für Senioren kaufen? In Homburgs neuem Kaufhaus wird es nur Jugendmode zu kaufen geben. Niemand will alt sein oder alt aussehen, obwohl immer mehr Alte unter uns leben.

Fehlt hier das Eingeständnis, dass man sich vor dem Alter fürchtet, weil es mit dem Tod zu tun hat? Gewiss ist Alter kränkend. Die Beschwerden, die Krankheiten, der Zerfall von Kraft und Schönheit. Doch wer diese Kränkung nicht aushält, steht in der Gefahr, sich zu verleugnen, sich zu verlieren. Er wird zynisch, lebenssüchtig, letzen Endes verzweifelt. Es führt kein Weg daran vorbei, sich selbst als fehlerhaften, endlichen, sterblichen Menschen zu erkennen und zu akzeptieren.

Doch wie soll man das ertragen? Wenn all unser Wünschen und Wollen der Erhaltung und Sicherung des Lebens gewidmet sind? Unserer Seele fehlt ein Programm, welches die Akzeptanz der Endlichkeit ermöglicht. Ebenso wie unseren Körperzellen ein Programm fehlt, die Teilung unendlich fortzusetzen. Beides war und ist notwendig, um die Selbstbehauptung der Gattung zu ermöglichen: die Unendlichkeit des Lebenswunsches auf der einen Seite und die Endlichkeit des Lebens auf der anderen. Die Endlichkeit des Lebens ermöglicht der Gattung, sich durch Auslese der Besten in jeder Generation an geänderte Umweltbedingungen anzupassen; je schneller, desto besser. Die Unendlichkeit der Wünsche hat den Menschen immer wieder neues erfinden lassen, um sich in der Artenkonkurrenz besser durchzusetzen: Waffen, Kleidung, Haus, Besitz.

Beides zusammen hat die Menschheit zu dem gemacht was sie ist, beides ist jedoch unvereinbar miteinander und verursacht dem Einzelnen seelisches Leid. Ein Leiden, welches sich in Trauer oder Todesangst ausdrückt. Er will dableiben und weiß, dass er davon muss, um für die Nächsten Platz zu machen.

Es fehlt ein Moment, das die Unendlichkeit des Lebenswunsches bzw. dessen Pendant, die Todesangst, mit der Endlichkeit des Körpers versöhnt. Nur so könnte der Mensch Glück finden, Zufriedenheit, Ruhe in seiner Seele. Doch wie gelingt ein Brückenschlag zwischen den unvereinbaren Bestrebungen?

Unser Predigttext zeigt Petrus, den Gründer der Kirche und Augenzeugen Jesu bei seiner ersten Missionspredigt vor Heiden. Er war auf der Durchreise gewesen und durch eine Vision überrascht worden. Darin befahl ihm Gott, ins Haus eines Römers zu gehen und dort zu predigen. Er wehrte sich dagegen, weil er als Jude Angst vor Verunreinigung hatte, wenn er das Haus eines Heiden betrat. Gott befahl es ihm. Da begriff Petrus, dass die Botschaft des Evangeliums so grundlegend ist für den Menschen, dass sie allen gesagt werden muss, nicht nur den Juden: "Jetzt begreife ich", sagt Petrus, "dass Gott keine Unterschiede macht. Er liebt alle Menschen, ganz gleich zu welchem Volk sie gehören, wenn sie ihn nur ernst nehmen".

Was ist so grundlegend an der Botschaft des Evangeliums?

Petrus schildert mit einfachen Worten, wie es dazu kam. Er erzählt den Lebensweg Jesu. Von der Taufe durch Johannes im Jordan bis zur Kreuzigung. Dann schlägt das Erzählen jedoch plötzlich ins Bekennen um: "Die Juden brachten ihn ans Kreuz, aber Gott erweckte ihn am dritten Tag vom Tod, so dass er sich uns als der Auferstandene zeigen konnte". Hier wird die Ebene der Alltagswirklichkeit verlassen und eine andere, überraschend neue Wirklichkeit ins Spiel gebracht, die dem natürlichen Lebenslauf Jesu eine Wende gibt. Der Tod Jesu bleibt noch im Bereich natürlicher Vorgänge, auch wenn er skandalös ungerecht und gewaltsam ist. Er entspricht der auch von uns als ungerecht empfundenen Wahrheit, dass die Guten oft früher gehen müssen als die Schlechten, dass Krankheit und Unfall Junge viel zu früh abberufen können, dass wir meist nicht einverstanden sind mit dem Tod.

Doch dann sprengt dieses Bekenntnis den Rahmen der Wirklichkeit und schlägt eine Brücke zwischen der unvermeidbaren Endlichkeit und dem in Trauer und Todesangst schlummernden Wunsch nach Unendlichkeit. Unendliches Leben im Sinne einer Fortsetzung des Gewohnten wird zwar nicht gewährt. Das wäre auch so unerträglich wie es für Dorian Gray war im Roman. Es ergibt sich jedoch eine andere, viel bessere Lösung. Das bisherige Leben wird zwar beendet, doch sein Inhalt wird aufgehoben in eine neue, geheimnisvolle Existenzform. "Gott hat ihn auferweckt" bedeutet nicht: er kehrt in sein früheres Leben zurück. Sondern er kehrt zu Gott zurück, dort hin, wo er einst herkam. Und dort bleibt er, was er seinem Wesen nach immer war, ein Gedanke Gottes. Der Mensch, ein Gedanke Gottes. Ein faszinierende Vorstellung. Was den Menschen ausmacht, lässt sich nicht greifen, lässt sich nicht verstehen, bleibt Geheimnis, und sei es noch so vertraut. Wir können nicht sagen, was das Ich eigentlich ist, das Bewusstsein, obwohl wir mittendrin sitzen. Vielleicht ist Bewusstsein ebenso fundamental gegeben, wie Raum, zeit und Masse. Eine physikalische Grundgegebenheit, die unter bestimmten Konstellationen einfach erscheint, ohne ableitbar zu sein. Das könnte erklären, warum dieses geheimnisvolle Ich mit Gott zu tun hat, mit dem letzten Urgrund allen Seins. Es bleibt mit ihm verbunden, schon im Gebet. Jesus nennt Gott Vater.
Dieses Bekenntnis finde ich glaubwürdig. Glaubwürdiger als Geschichten von leeren Gräbern, von denen jeder halten mag was er will. Der Auferstandene zeigt sich auch nicht jedermann, sondern nur einer auserwählten Schar. Er erscheint ihnen.

Entscheidend ist: Gott hat sich an Ostern zu Jesus Christus bekannt. Er hat ihn als seinen lieben Sohn nicht im Vergangensein des ewigen Todes gelassen, im schrecklichen Orkus des Nichts. Er hat ihn in ein neues, unvergleichliches Dasein berufen: er lässt ihn – nach antikem Weltbild räumlich – nach oben auffahren in den Himmel wo er zur Rechten Gottes sitzt. Und weil Jesus ein Mensch war, kann jeder andere Mensch das gleiche Geschenk von Gott erhalten. "Alle Propheten haben von Jesus gesprochen", hieß es, "und jeder, der ihm vertraut, kann durch ihn Vergebung seiner Schuld empfangen!. Schuld ist eine biblische Metapher für Sterblichkeit, Endlichkeit. Jeder, der Gott so vertraut wie Jesus Christus, kann ebenso ein neues Leben geschenkt bekommen. Das alte Leben, die Sterblichkeit, die Schuld, wird abgetan, vergeben. Das ist die Osterbotschaft. Und das ist der Brückenschlag zwischen der Endlichkeit des Leibes und der Unendlichkeit der Seele. Die Lösung des grundlegenden Problems der Menschheit, die mit ihrem ererbten Widerspruch nicht zurecht kommt.

Voraussetzung dafür ist das Vertrauen auf Gott, den Schöpfer.

Wenn Gott all die wunderbaren Dinge geschaffen hat, die uns umgeben, warum soll er dann nicht viel mehr schaffen können als unser endlicher Verstand begreift? Es ist doch geradezu unwahrscheinlich, dass die Wirklichkeit dort aufhört, wo unsere Fernrohre nicht mehr hinreichen oder wo die begrenzte Menge logischer Operationen, zu denen unser Gehirn fähig ist, aufhört. Man muss sich immer wieder wundern über die Naivität von Leuten, die sagen, man könne nur glauben was man sieht.

Die Möglichkeit größerer, unbegreiflicher Dimensionen kann niemand bestreiten. Nur ob man sie glauben kann, ist die Frage, ist das Problem des modernen Menschen.

Doch es gibt einen berühmten Satz, der lautet:

"Sobald ein Flugzeug ins Trudeln gerät, sitzt kein Atheist mehr darinnen". Will sagen: Glaube an Gott wächst vor allem da, wo die eigene Existenz gefährdet ist. Das gefährdete Bewusstsein klammert sich an seinen Urgrund, an Gott. Das war schon in alttestamentlicher Zeit so. Das älteste biblische Bekenntnis schließt sich an die Rettung der Israeliten aus dem Schilfmeer vor den Truppen das Pharao an. Noch im 1. Gebot heißt es: "Ich bin der Herr dien Gott, der dich aus Ägyptenland aus dem Knechtshaus geführt hat."

Gott hat das Leben geschaffen. Gott rettet das Leben. Gott nimmt es zurück. Gott schenkt aber auch neues Leben. Und zwar im Himmel wie auf Erden.

In allen Fällen ist Gott der Handelnde.

Das ist die Klammer, die alle christlichen Bekenntnisse und Überzeugungen eint. Alles Wirkliche ist und bleibt von Gott umfangen. Daher kann nichts verloren gehen.

Man kann das nicht wissen. Wenn die Endlichkeit uns jedoch bewusst wird, fängt man an, es glauben zu können: Not lehrt beten.
Im Islam sagt man: "Cerachte nie ein Unglück. Es könnte eine Gabe Gottes für dich sein."

Das Unglück der Kreuzigung war die Wurzel des christlichen Glaubens. Darum heißt es im bekannten Kirchenlied: "Wir danken dir Herr Jesu Christ, dass du für uns gestorben bist. Und hast uns durch dein teures Blut gemacht vor Gott gerecht und gut."

Frohe Ostern.

Amen

 

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